Noch ein anderer Ausspruch des Apostels scheint uns die Willensfreiheit zu entziehen, worin er, sich selbst den Einwurf macht: Er erbarmt sich also, wessen er will u. s. w. Man mag sagen, wenn Gott wie der Töpfer, der aus demselben Klumpen dieses Gefäß zu Ehren, jenes zu Unehren macht, das Eine zur Seligkeit, das andere zur Verdammniß bestimmt, so liegt der Grund des Seligwerdens oder des Verdammtwerdens nicht in uns: wir sind also nicht frei. Gegen diese Folgerung stellen wir die Frage, ob sich annehmen läßt, daß der Apostel sich widersprochen habe? Ich glaube nicht, daß sich Jemand unterstehe, dieses zu behaupten. Wenn nun der Apostel sich nicht widerspricht, wie kann er [Wort im Exemplar unleserlich, d. Bearb.] nach dieser Erklärung der Stelle mit Grund den, der in Korinth mit Huren umgegangen, oder die, welche gefallen waren, und über ihre Ausschweifung nicht Buße gethan hatten, tadeln und strafen.
Wie kann er andere, die er lobt, für ihre Wohlthaten segnen, wie das Haus des Onesiphorus, von dem er sagt; Gott verleihe Gnade dem Hause des Onesiphorus, denn er hat mich oft erquickt und sich meiner Bande nicht geschämt, [S. 193] sondern solang er zu Rom war, mich fleißig aufgesucht und gefunden, der Herr lasse ihn Gnade finden vor dem Herrn an jenem Tage.“ (2 Tim. 1, 16.)? Ist es nicht derselbe Apostel, der das eine Mal den, der gesündigt hat, als tadelnswerth rügt, und den, der Gutes gethan, als lobenswerth rühmt; ein ander Mal, wie wenn Nichts von uns abhienge, spricht „nach der Bestimmung des Schöpfers sey dieses Geschöpf in Ehren, jenes in Unehren“?, Wie reimt sich jenes (2 Cor. 5, 10.) hiezu: „wir müssen Alle vor dem Richterstuhl Christi erscheinen, damit Jeder empfange nach dem, was er bei Leibes Leben gethan hat. Gutes oder Böses“; wenn doch die, welche Böses gethan haben, dadurch zu dieser Handlungsweise gekommen sind, daß sie zu Unehren geschaffen waren: und die, welche tugendhaft gelebt haben, deßwegen das Gute gethan haben, weil sie von Anfang dazu bestimmt, und als Ehrengefäße geboren waren?
Widerspricht ferner der angenommenen Erklärung unserer Stelle, daß der edle oder unedle Gebrauch des Gefäßes Bestimmung des Schöpfers sey, nicht auch jener andere Ausspruch (2 Tim. 2, 20.): „In einem großen Hause sind nicht bloß goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene, die einen zu edlem, die andern zu unedlem Gebrauch; wenn sich nun einer gereinigt hat, wird er ein geheiligtes Gefäß zu edlem Zwecke, dem Hausherrn nützlich und zu jedem guten Werk bereit seyn“? Wenn also der, welcher sich gereinigt hat, ein Gefäß zu edlem Gebrauche wird, der aber, welcher sich ungereinigt gehen läßt, zu unedlem; so ist diesem Ausspruch zu Folge keineswegs der Weltschöpfer die Ursache davon.
Der Schöpfer macht wohl Gefäße zu edlem und unedlem Gebrauche, aber nicht von Anbeginn 2 nach einer willkührlichen Vorherbestimmung, weil er nicht nach dieser entscheidet, sondern die, welche sich gereinigt haben, zu Ehrengefäßen, die, welche sich ungereinigt gehen [S. 194] ließen, zu unedlem Gebrauche bestimmt.
Demnach 3 rührt die Bestimmung zu Gefäßen der Ehre oder der Unehre von Ursachen her, die weit über die Schöpfung derselben hinausliegen. Wenn wir aber einmal frühere Ursachen der Bestimmung zu Gefäßen der Ehre oder der Unehre zugestehen, was hindert uns, indem wir auf die Frage von der Seele zurückkommen, ebenfalls frühere Ursachen der Liebe zu Jakob und des Hasses gegen Esau, in Jakob vor seiner Menschwerdung, und in Esau, ehe er in den Schoos der Rebekka kam, anzunehmen? 4
https://www.unifr.ch/bkv/kapitel5151-19.htm